Flughafen
Zürich-Kloten, 9h15. In den Überwachungskameras stechen in der Menge drei
Personen hervor. Nicht etwa wegen ihrer Bekleidung (Fussball-Trikot und, trotz
der sommerlichen Temperaturen, Schal), und auch nicht aufgrund der Dosen Bier
in der Hand (trotz der Uhrzeit), sondern aufgrund der verdächtig guten Laune. Die
Zentrale meldet dies einer Patrouille – man muss schliesslich stets vom
Schlimmsten ausgehen. Nach ein paar Abklärungen und einer Personenkontrolle
wird grünes Licht gegeben: Es handelt sich um zwei Fans von Real Madrid, die
nach Kiew an das dritte Champions League Finale ihres Klubs in Folge reisen. Aha,
die übertrieben gute Laune kommt also weder von Drogenkonsum, noch vor der
Vorfreude auf einen Terrorakt. Real Madrid Fans! Kein Wunder, sind sie so gut
drauf!
Plaza del
Sol, Madrid, 11h. Das Sonnenlicht dringt problemlos durch die Ritze des
vergilbten Vorhangs dieses mittelprächtigen Hostals und weckt die zwei
verkaterten madridistas langsam aber unbarmherzig auf. Mehrmals geht der Griff
zur Wasserflasche daneben, die liebevoll auf dem Stuhl bereitgelegten berna
madridista Jubiläums-Schals gleiten zu Boden und die späte Uhrzeit bringt ein
Stöhnen hervor. „Los jetzt, wir wollten doch früh beim Santiago Bernabéu sein!“
Bern, 11h30.
Die zwei Kisten mit Fahnen und anderem Fanklub-Material werden in den
Kofferraum gehievt. Ihr Ziel: Die Beiz 44 in Bern. Denn dort wird sich der
madridismo der Schweizer Hauptstadt zusammentun, um gemeinsam der Dreizehnten entgegenzufiebern.
Es werden Bierdeckel des Fanklubs bereitgestellt, Fahnen aufgehängt und die
Grossleinwand aufgestellt. Das Personal der Bar hat Unmengen an Bier
kaltgestellt und der Grill steht blitzblank bereit, um die Gäste zu versorgen.
An Essen und Trinken soll es nicht fehlen, das steht fest!
Kiew, 12h. Fast
alle angereisten Mitglieder von berna madridista treffen sich beim
Olympiastadion zur Ticketabholung. Die meisten können es kaum glauben, hier zu
sein. Die Reise war sehr teuer und in machen Fällen lang. Denn erst kurzfristig
überbrachte Real Madrid die gute Neuigkeit, so dass für viele eine kurzfristige
Planung unumgänglich war. Eine Unterkunft im ausgebuchten Kiew zu finden war
eine Herkules-Aufgabe. Und doch sind wir alle hier, und das allein zählt jetzt.
Die Sonne scheint, es ist warm, die Ukrainer sind freundliche Gastgeber, das
Essen ist gut und das Wichtigste: Heute Abend spielt unser Herzensklub. Was
will man mehr? Alfredo vom Fanklub-Büro begrüsst uns herzlich. Er weiss, wie
der Berner Fanklub an jedem Spiel dabei ist, ob in Zypern, Bulgarien oder
Marokko. Von den typischeren Destinationen in Deutschland, Italien, Frankreich
oder England ganz zu schweigen. Auch deshalb blieb Real Madrid nichts Anderes
übrig, als uns bei der Ticketvergabe zu berücksichtigen. Und das freut
madridista Alfredo. Das erhaltene Ticket wird sofort, und als wäre es ein
Kronjuwel, versorgt. Ab ins Bier!
Madrid,
16h. Das Aufstehen und ausgiebige Frühstück hat sich in die Länge gezogen, und
ein kurzer Spaziergang zum Königspalast tat sein Übriges. Ist auch nicht
schlimm, es geht noch mehrere Stunden bis zum Anpfiff. In der Metro auf dem Weg
zum Bernabéu erkennt man sich: Viele tragen Weiss. Ein paar grimmige Gesichter
gibt es, das müssen die permanent verbitterten Atlético-Fans sein. Die werden
heute alle zu Liverpool-Supportern, das ist gewiss. Aber ihr Neid macht uns
umso stärker. „Próxima parada, Santiago Bernabéu“, ertönt die mechanische
Stimme es aus dem Lautsprecher. Mit einem lauten Zischen gehen die Türen auf
und alle stürmen johlend aus dem Zug. Ein paar klatschen RMCF-Stickers an die
Wände. Der Kater ist vergessen: Mit grossen Sprüngen geht es die Treppen hoch,
Richtung Licht, und dann erscheint majestätisch das Santiago Bernabéu, die
Arena, wo Träume wahr werden.
Bern,
17h30. Die ersten Real-Fans, die die es am wenigsten erwarten können, treffen
ein. Jedem wird ein Krug Bier in die Hand gedrückt – vom Fanklub spendiert –
und später gibt es für alle kostenlos Hamburger mit Pommes. Mehrere Mitglieder
tragen den Jubiläumsschal des Fanklubs (es werden 10 Jahre gefeiert), und viele
haben Freunde – selbstverständlich auch Real Madrid Fans – mitgebracht. Wir
begrüssen sogar weithergereiste Mitglieder, wie zum Beispiel Georg aus Basel
und Lars aus Bötzingen (D). Viele Kilometer, um gemeinsam mit anderen gleichgesinnten
ein Spiel zu sehen. Das ist madridismo. Es wird hitzig diskutiert: Soll die BBC
(Bale, Benzema, Cristiano) spielen? Was ist mit Lucas Vázquez und Isco? Wie
werden die Engländer spielen? Wird Salah ein Problem für Real? „Der Schlüssel
zum Sieg ist ein frühes Tor!“, ruft einer, um dann gleich den zweiten Krug zu
bestellen. Irgendwie müssen ja die rund 50 madridistas die Wartezeit überstehen...
Kiew, 18h.
Die Bar ist voller Real-Fans, viele davon aus Madrid, ein paar aus Bern. Bier
um Bier schlittert über die nasse Theke, dann geht es plötzlich über zum
Whisky. Die breiten und bärtigen Ukrainer die ausschenken, sind alles Dynamo-Fans.
Eine berüchtigte Fan-Schar. Aber wir sind zahlende Kunden und schenken ihnen
dazu noch RMCF-Stickers, die sie mit den glitzernden Augen eines Kleinkindes
entgegennehmen. Draussen wurden mehrere grimmige, verdächtig nach Dynamo-Ultras
ausschauende Typen erspäht, was Erinnerungen an den Angriff ukrainischer
Hooligans gegen Liverpool-Fans am Vortag wach werden lässt. Doch der Alkohol
wischt jede Sorge weg, und aufgrund der lauten Gesänge haben sich bereits
mehrere Polizisten am Eingang eingefunden. Endlich werden die Segel gesetzt: Johlend
verlassen rund 30 Real-Fans die Bar, mit einem lauten Knall wird eine
Leuchtbengale gezündet und es geht Richtung Stadion!
Madrid,
20h. Die Tickets auf den Namen von berna madridista wurden abgeholt. Für alle
Mitglieder von berna madridista waren sie gratis, und zur grossen Freude wird
festgestellt: Es sind fantastische Plätze! Inmitten gleichgesinnter fühlt man
sich zudem sehr schnell wohl, auch wenn man selbst kein Spanisch spricht. Das
Santiago Bernabéu ist ausverkauft, die Stimmung grosses Kino. In der Mitte des
Platzes flimmern riesige Bildschirme, sie zeigen Erinnerungen an den letzten
Champions League Triumph in Cardiff. Die positive Energie ist der Wahnsinn. So
viel Zuversicht, was kann da noch schiefgehen? Viele Socios (Voll-Mitglieder)
sind hier, denn die Reise gegen Osten war für viele zu teuer. Spontan werden
Gesänge aus verschiedenen Ecken des legendären Bernabéus angestimmt. „Señores
soy madridista desde la cuna, que vamos a ser campeones no tengo duda...“
Bern,
20h45. Anpfiff! Die Hamburger und das Handy sind nun vergessen und mit Hochspannung
wird das Spiel verfolgt. Liverpool macht Druck. Das war zu erwarten, und es
wird nicht ewig andauern. Real verteidigt routiniert, und doch gibt es mehrere
Schreckmomente. Dann verletzt sich Salah an der Schulter, was die
Barcelona-Fans später billig benutzen werden, um die Leistung Reals abzuwerten
und Ramos der Unfairness zu beschuldigen. Einigen BM-Mitgliedern ist die
Erleichterung anzusehen, Salah hat eine unglaubliche Saison gespielt. Der
Halbzeitpfiff ertönt, 0-0.
Kiew, 22h45
(Ortszeit). Die Halbzeitpause ist vorbei, alle Hände gehen in die Luft und
klatschen unisono, der Trommel folgend, „Hasta el final, vamos Real! Lo, lolo,
lolo,...“ Die Mitglieder von BM stehen hinter dem Tor, wo die Stimmung elektrisierend
ist. Und da fällt wie aus dem heiteren Himmel das 1-0... Ohrenbetäubender
Jubel, man wird hin und her gestossen, umarmt, mit Bier überschüttet und plötzlich
zischt eine leuchtendrote Bengale auf. Vamos!
Madrid,
22h30. Es steht 3-1 und im Bernabéu ist niemand mehr zu halten. Es wird mit rauer
Stimme nochmals die RM-Hymne gesungen, und als der Schlusspfiff ertönt,
erzittert ganz Madrid. Eines unserer Mitglieder schreibt: „Es ist schwer, ein
treffendes Wort für dieses Erlebnis zu finden. Alles war schlichtweg
unglaublich. Ich freue mich, eines Tages meinen Kindern davon zu erzählen!“. Nach
dem Spiel ziehen die Fans zu Fuss in einem Umzug vom Stadion zum
Cibeles-Brunnen. Es ist unbeschreiblich. Immer wieder kommt die Menge zum
Stehen, um Lieder gemeinsam anzustimmen, Fahnen werden geschwenkt. Auf einer
Brücke wird der Marsch von Mitgliedern von Ultrassur empfangen, die Unmengen an
Pyros zünden und 13 grosse mit den Europapokalen bemalte Fahnen in die Höhe
stemmen. Mitten im Umzug, noch ein Heiratsantrag. Gibt es eine bessere Kulisse?
Bern, 22h50.
Nach dem ersehnten Abpfiff wird eine weitere Runde Bier ausgeben, um zusammen auf
den 13. Titel anzustossen. Und damit auch wirklich das gesamte Quartier
mitbekommt, wer der König von Europa ist, werden auf der Strasse vor der Bar
bei lautem Gesang Bengalos und Rauchbomben gezündet. Für einige ist der Abend
noch lange nicht vorbei, andere denken bereits an den 1. Juni 2019...
Kiew, 23h00
(Ortszeit). Der 13. CL-Pokal wird von Kapitän Ramos in die Höhe gestemmt und
die Hälfte des Stadions explodiert. Es ist vollbracht, der Madridismo kann
schon wieder feiern! Einziger kleiner Wermutstropfen: Ab den vielen Selfies mit
mitgebrachten Freunden und Familie vergessen die meisten der RM-Spieler uns,
die Fans. Nur wenige von ihnen überqueren die Leichtathletik-Bahn. Sie
vergessen, dass sie ohne uns, nichts sind. Dass RMCF wir, die Fans sind, und
dass Spieler kommen und gehen. Das tut aber unserer guten Laune keinen Abbruch.
Die berna madridista Fahne wird verstaut und wir machen uns auf ins Kiewer
Nachtleben. Unbesorgt, denn auch ein Alkoholrausch wird die Erinnerung an
diesen Tag nicht verblassen lassen. Sie ist ins Gedächtnis eingraviert wie „REAL
MADRID CF“ in die silberne Oberfläche der d r e i z e h n t e n Champions
League Trophäe...
Ja: Der
Samstag, 26. Mai 2018 war ein Tag für die Annalen der Geschichte des runden
Leders. Niemals zuvor hat ein Fussballklub die Königsklasse so lange dominiert.
Doch der 26. Mai 2018 hat sich auch in
das Gedächtnis von Millionen von madridistas eingebrannt. Egal wo wir an diesem Tag waren: Es ist einer dieser
Tage, die wir nie vergessen werden. Und es wird auch in dreissig Jahren einer
dieser Tage sein, an wir alle genau wissen werden, was wir gemacht, gegessen
und getrunken und wie und mit wem wir gefeiert haben.
Als am 12.
Oktober 1492 Amerika entdeckt und das bisherige Ende der Welt (bis dahin, der
Atlantik) erweitert wurde, setzten die spanischen Könige die Devise „Plus Ultra“
in das spanische Wappen. „Plus Ultra“ (lateinisch), bedeutet „darüber hinaus“
und widersetzt sich dem „Non Plus Ultra“ („nicht mehr weiter“), welches auf den
Herkules-Säulen zu lesen gewesen sein soll. „Plus Ultra“ ist zweifellos auch die
Devise Real Madrids. Denn das Sättigungsgefühl ist schon wieder vorbei. Wir
lechzen nach weiteren Pokalen, Abenteuern und epischen Siegen. Das ist das Gen
des madridismo.
REAL
MADRID, EINE LEIDENSCHAFT, UND BERNA MADRIDISTA, STETS ZUVORDERST DABEI!
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