Montag, 4. August 2014

La Décima


Lissabon. Finale. Décima. Vom Moment an, an dem vor unseren Augen in der Allianz Arena Bayern München gedemütigt wurde, waren nur noch diese drei Begriffe in unseren Gehirnwindungen zu finden. Sie blockierten jegliches Denken, verunmöglichten es, sich bei der Arbeit zu konzentrieren und waren unser aller Gesprächsthema. Bald jedoch musste das Rauschen in den Ohren aufhören, die Sinne und der Verstand geschärft werden. Warum? Weil uns Real Madrid CF, das mit der Handhabung der vielen Anfragen für Final-Tickets offensichtlich überfordert war, auf unsere sofortige Anfrage hin mitteilen liess, dass wir uns keine Hoffnungen machen sollten. Wir akzeptierten diese Antwort jedoch nicht. Berna madridista hat sich in seiner Vereinsgeschichte stets durch Beharrlichkeit charakterisiert. Als einer von uns sich in Manchester (Viertelfinalrückspiel gegen ManU), wohin aus Bern über 25 Fans, die Hälfte ohne Ticket, angereist waren, ins Mannschaftshotel log, wo er Präsident Pérez zur Rede stellte und von diesem weitere Tickets erhielt, hätte ein Zufriedengeben und Resignation ebenfalls zu nichts gebracht. Das Fanklub-Büro ist es sich bereits gewohnt, unsere manchmal mühseligen Anfragen, unser Nachhaken und unsere auch unbequemen Fragen entgegenzunehmen. Wir denunzieren socios (Vollmitglieder), die ihre Tickets zu überteuerten Preisen an verzweifelte Fans verkaufen, wir fordern Zusicherungen damit wir Fahnenstangen, Trommel und Megafon auswärts ins Stadion bringen können, wir kritisieren die Mannschaft, wenn sie wieder einmal gleich in den Jacuzzi springt anstatt die weitgereisten Fans zu grüssen und ja, wir fordern Tickets. Wir fordern Tickets weil wir sie uns verdienen, weil wir sie mehr verdienen als Touristen und Plastik-Fans, weil wir sie mehr verdienen als Cristiano-Groupies und weil wir versuchen, einen kleinen Teil zum Sieg beizutragen.

Und so war es auch im Falle von Lissabon. Also machten wir uns an die Arbeit. Unsere Briefe an das Fanklub-Büro und an Emilio Butragueño wurden von Fotos der Choreos und Reisen, von Statistiken zurückgelegter Kilometer und bezogener Tickets während der letzten 7 Jahren begleitet. In der Zwischenzeit hatte RMCF darüber informiert, wie die Tickets verteilt werden. Es wurde übrigens auch bekannt, dass viele Mitglieder der treusten Fangruppe, nämlich Ultras Sur, die seit über dreissig Jahren die Mannschaft begleitet und unterstützt, leer ausgingen. Entsprechend verabschiedeten die über hundert Mitglieder von US die Mannschaft vom letzten Training in Valdebebas nicht nur mit ermutigenden Sprechchören, sondern auch mit einem Transparent an die Adresse des Klubs: IHR BITTET UM DIE UNTERSTÜTZUNG DURCH DIE FANS… UND LÄSST DIE KURVE IN MADRID. Auch beim Transport der madridistas nach Lissabon (im Gegensatz zu Real offerierte Atlético vielen Fans die Car-Anreise) liess RMCF viel zu wünschen übrig. Auf jeden Fall ging die grosse Mehrheit der Tickets an die socios (Vollmitglieder), empörend viele an die Spieler und die Sponsoren und ein paar wenige an die grössten Fanklubs in Spanien. Nach Protesten wurde das Kontingent für die Spieler gekürzt (einige davon hatten die Dreistigkeit, darüber zu meckern), und plötzlich erhielten wir positiven Bescheid: Unser Einsatz sei zu belohnen, sie könnten uns eine sehr bescheidene Anzahl Tickets geben. Immerhin! berna madridista wäre in Lissabon auch ohne Tickets vertreten gewesen. Aber nun war klar, dass BM auch im Stadion sein würde…
 
Die meisten flogen direkt nach Lissabon, einige reisten über Madrid per Car an, andere (ohne Ticket) blieben in der spanischen Hauptstadt. Sowohl an der Mündung des Tajos wie in der zentraliberischen Hochebene würde es ein Fest geben. Die sehenswerte Stadt Lissabon wurde mit Stickern zugepflastert und am Tag des Spiels wurde einer der Hauptplätze der Innenstadt komplett eingenommen. Bier, Bengalen und Gesänge den ganzen Tag, bis unsere Gruppe sich auf dem Weg zum Stadion machte. Die inexistente Trennung von Fanlagern in der U-Bahn führte zu ein paar „Vorkommnissen“, beim Stadion trafen wir ex-Realspieler Pavón an. Unsere Laune konnte nicht besser sein. Und bald standen wir Schulter an Schulter im Estadio da Luz.
 


Das Spiel habt ihr alle gesehen. In der 92. Minute herrschte Niedergeschlagenheit, immer weniger glaubten an die Verhinderung einer Katastrophe, auch wenn uns RMCF in seiner Geschichte immer wieder gezeigt hat, dass wir den Glauben nie verlieren dürfen. Und so war es. Der Moment des Ausgleichs in letzter Minute war unbeschreiblich und unvergesslich. Während ohrenbetäubendes Jubeln wie Wellen über einen hereinbrachen, fielen alle übereinander, manch einer dürfte sich was gebrochen haben, aber das war egal. Auf einmal passte alles zusammen: Die vielen Auswärtsfahrten und Reisen, das investierte Herzblut, die Zeit, das Geld, all das, das auch ohne Titel Genugtuung gibt, wurde in diesem Moment mit Zinseszinsen zurückbezahlt. Auf dem Olymp des europäischen Klubfussballs, als Rekordmeister des alten Kontinents, als Teil der Fussballgeschichte wusste man nicht wohin mit der ungläubigen Freude. Plötzlich zischte eine Bengale Barthaare versengend am Gesicht vorbei, eine Petarde explodierte, eine Trommel fiel zu Boden. Links und rechts lagen sich wildfremde Personen in den Armen, tätowierte Schränke weinten, die heiseren Stimmen krächzten und man fand sich oben ohne auf einem Sitz stehend wieder, das T-Shirt schwenkend wie ein irrer gestrandeter Robinson Crusoe der meint, ein Schiff am Horizont gesehen zu haben. Aber dort stand nur ein Leuchtturm, Sergio Ramos, und dahinter ein Meer von rot-weissen Madrilenen, die innerlich gerade von einer Klippe stürzten. Auf unserer Seite zweifelte niemand mehr auch nur im Geringsten am bevorstehenden Sieg. So war es, eine lange Nacht stand allen bevor.
 
Und jetzt? Und jetzt dürsten wir nach der Elften! Weiter und immer weiter, Adelante RMCF!




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